Retrospektive meets Teamdynamik

Die Retrospektive ist heute in vielen Firmen etabliert und installiert. Sie ist integraler Bestandteil aller agilen Arbeitsmethoden und steht im Zentrum des Lernprozesses in den Teams und Organisationen. Lernen findet ja in der Lern- und nicht in der Komfortzone statt. Wie stelle ich jetzt fest, in welcher Zone sich mein Team aktuell befindet?

Eine Symptom zur Ortung der Lernzone in einem Team ist für mich, wenn die Emotionen der Teammitgliedern in der Retrospektive (und auch ausserhalb) durchschimmern. Ich schliesse daraus, dass sie sich nicht „nur“ auf der Sachebene austauschen sondern auch Themen auf der teamdynamischen Ebene besprechen. Sie sprechen darüber, was zwischen ihnen als Menschen los ist. Was sie aneinander schätzen, wo sie sich aneinander reiben oder worin sie sich als Team im zwischenmenschlichen verändern wollen.

Eisbergmodell

Ein reifes Team hat gelernt, diese Themen anzusprechen und auch Experimente und Veränderung auf der teamdynamischen Ebene zu bewirken.

Die psychodynamische Ebene (zuunterst im Eisberg) schwingt immer mit, soll aber in der Retrospektive nicht explizit adressiert werden. Selbstverständlich darf jede Person auch persönliche Informationen dazu mit dem Team teilen, es wird aber nicht eingefordert.

Warum ist es es wertvoll, wenn ein Team sich auch auf der teamdynamischen Ebene austauschen kann?

Die Teamdynamik ist immer da. Alles was wir tun, hat auch Auswirkungen auf dieser Ebene. Mein Professor im CAS Teamdynamik sagt: „Teamdynamik ist wie das Wetter, es findet immer statt.“ Wir sind immer in Beziehung miteinandner, auch keine Beziehung in einem Team ist eine Aussage zum Beziehungssystatus.

Zum Beispiel die Erwartungen, die wir aneinander in einem Team haben. Können wir darüber sprechen? Sind wir fähig, einander echtes Feedback zu geben? Können wir als Team darüber sprechen, welches unsere Werte und Normen sind? Können wir auch ansprechen, wenn ein Teammitglied diese Werte und Normen nicht einhält? Fühlen wir uns genügend sicher, uns auch im Team mal ausserhalb dieser Werte und Normen zu bewegen? Die Werte und Normen regelmässig zu hinterfragen?

Ich sehe Teams, die durchaus fähig sind, im informellen Bereich (beim 1:1 Gespräch draussen auf dem Gang) all diese Themen offen anzusprechen. Aber findet der Austausch auch in der Gruppe/im Team statt, wenn wir alle zusammen sind? Erst wenn diese Dinge im Team besprochen werden können, kann sich dadurch die Arbeitsfähigkeit des Teams erhöhen, weil eine Auseinandersetzung auf der teamdynamischen Ebene stattfindet.

Es gibt in einer Gruppe / in einem Team den teamdynamischen Raum. Der besteht aus drei Kräften:

  1. Zugehörigkeit
    1. Bin ich in der Gruppe oder draussen? Bin ich voll integriert oder randständig?
    2. Wer gehört wodurch und weshalb zur Gruppe?
    3. Wie ist meine Identität in der Gruppe?
  2. Macht und Wirkung
    1. Wer ist in der Hierarchie der Gruppe oben, wer unten?
    2. Wieviel Wirkung habe ich in der Gruppe?
    3. Wer hat wann welche Macht und welchen Einfluss in der Gruppe?
  3. Nähe und Distanz
    1. Betrifft Liebe und Beziehung
    2. Wieviel Nähe ist zwischen Mitgliedern notwendig und passen?

Spannend ist, dass es in der Teamdynamik in der Essenz immer genau um diese drei Kräfte geht. Schau mal auf dein Team, was siehst du dort?

Wichtig ist für mich auch, dass ich selber weiss, welcher der drei Kräfte mir den besonders wichtig ist. Ist mir die Zugehörigkeit in einem Team wichtig, oder will ich Wirkung im Team entfalten? Wie nehme ich mich wahr in einem Team? Und hier habe ich wieder von meinem Professor gelernt: Wahrnehmen und annehmen. Nicht bewerten ;-).

So, der Blog-Beitrag heisst ja „Retrospektive meets Teamdynamik“ und wie bitte kann ich jetzt teamdynamische Themen in der Retrospektive forcieren?

Hier meine Tricks:

Emotionale Trendlinie
  • Auf den Einstieg in die Retrospektive acht geben. Bereits hier die Emotionen der Teilnehmenden abholen, zum Beispiel mit der emotionalen Trendlinie. Und zwingend alle in den Einstieg miteinbeziehen.

  • Moderation überwischt oftmals die Teamdynamik. Mutig ansprechen was wir fühlen und vom Team wahrnehmen und nicht stur der geplanten Moderation folgen. Oder auch einfach mal gar nix sagen. Zählt innerlich auf 100 und wartet mal ab.
  • Sich vom Gedanken verabschieden, dass wir als Facilitator immer lieb zum Team sein müssen. Lernen bedeutet fordern, und dies nicht nur in der Sache sondern auch auf teamdynamischer Ebene.
  • Ich hatte sehr lange Angst vor Emotionen in meinen Workshops. Ich hatte Angst, dass ich überfordert bin damit. Seit meiner Ausbildung im Bereich Teamdynamik konnte ich diese Angst einwenig ablegen. Vor allem darf ich auch mal überfordert sein, das ist total in Ordnung.
  • Mehr mit Bildern arbeiten. Bilder kommunizieren ganzheitlicher und wir können viel mehr ausdrücken. Auch Emotionen…
  • Mit dem Team über die gemeinsamen Werte & Normen sprechen. Ich verwende da gerne den Betriff Mottos. Welche Mottos gelten bei uns? Welche wollen wir forcieren? Welche wollen wir ablegen?
  • Stärken stärken. Feedback-Karten erstellen lassen und diese einander schenken. „Ich habe hier die Karte „Kümmert sich immer um das Team“ gezogen. Diese Karte möchte ich gerne dir schenken. Du fühlst dich für uns verantwortlich und kümmerst dich sehr gut um uns….“. Und dies nicht im stillen Kämmerlein, weil wir ja wissen, nur was wir im Team kommunizieren können, hat auch Wirkung dort.

Fazit: mit der Brille der Teamdynamik erhält die Retrospektive mehr Tiefgang. Sie wirkt bei den Teams nachhaltiger und die Lernkurve wird steiler. Viel Spass beim Ausprobieren und Reflektieren!

Neu bieten wir Trainings zu diesem Thema an!

Veröffentlicht von

Franziska Stebler

Mich begeistert es täglich mit Menschen zusammenzuarbeiten und mit ihnen grossartiges zu Bewirken. Ich bin Profi im Aufspüren von Mustern und entwickeln von Denkmodellen, die helfen komplexe Probleme zu lösen. Ich bringe einen grossen Rucksack an Fachkenntnissen und Erfahrungen mit: Master in Information Technology, 12 Jahre Erfahrung in der Software-Entwicklung, Lehrerin, 5 Jahre Scrum Master, 2 Jahre Product Owner, Enterprise Kanban Coach, Aufbau eines Agile Coaching Teams bei der SBB, Coaching von Teams und Führungskräften bis C-Level. Meine Firma: https://www.organic-change.ch/ Mein Profil: https://www.organic-change.ch/%C3%BCber-uns/

Ein Gedanke zu „Retrospektive meets Teamdynamik“

  1. Merci Franziska! Ich nehme mir konkret den Punkt heraus, dass ich auch als Facilitator die schwierigen Fragen stellen darf. Liebe Grüsse Yannick

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