Warum „Gemba“ so wichtig ist: 10 Gründe für das Prinzip „Go and See“

In der Welt der Prozessoptimierung und des Lean Managements gibt es ein Prinzip, das oft vernachlässigt wird, obwohl es von unschätzbarem Wert ist: Gemba. Der Begriff kommt aus dem Japanischen und bedeutet so viel wie „der echte Ort“ – also der Ort, an dem die Arbeit tatsächlich geschieht. Das Konzept des „Go and See“ zielt darauf ab, sich vor Ort ein eigenes Bild von der Situation zu machen, anstatt sich auf Berichte und Interpretationen anderer zu verlassen. In diesem Beitrag möchte ich die zehn wichtigsten Gründe erläutern, warum Gemba für Führungskräfte und Teams so wertvoll ist und warum es ein zentraler Baustein jeder nachhaltigen Verbesserungskultur sein sollte.

1. Direkte Visualisierung der Situation

Durch das Vor-Ort-Sein bekommt man eine direkte Visualisierung der tatsächlichen Abläufe und Herausforderungen. Man sieht, wie die Arbeit tatsächlich ausgeführt wird und wie die Umgebung aussieht. Dieser direkte Eindruck ist viel wirkungsvoller als jedes schriftliche Dokument, denn man kann sofort erkennen, was funktioniert und wo Probleme liegen könnten. Visuelle Eindrücke helfen uns, Situationen und Abläufe besser zu verinnerlichen und schneller einzuordnen.

2. Mehr Reize für das Gehirn

Das Gehirn verarbeitet Informationen vor Ort viel intensiver als durch abstrakte Beschreibungen oder Berichte. Die Sinneseindrücke – Gerüche, Geräusche, visuelle Details – schaffen ein umfassenderes Bild und helfen uns, ein tieferes Verständnis für die Arbeitsrealität zu entwickeln. Das Sehen, Hören und Erleben des „echten Ortes“ erlaubt es uns, Zusammenhänge zu erkennen und nachhaltig zu verstehen.

3. Eintauchen in die Situation und Perspektivenwechsel

Durch das Eintauchen in die Situation versetzt man sich quasi in die Perspektive der Mitarbeitenden. Man stellt sich bildlich „in ihre Schuhe“ und erkennt die Schwierigkeiten und Bedingungen, unter denen sie arbeiten. Dieser Perspektivenwechsel führt oft zu einem neuen Verständnis und zu mehr Empathie, was wiederum die Qualität der Entscheidungen verbessert.

4. Motivierender Aspekt für die Mitarbeitenden

Die Präsenz einer Führungskraft oder eines Teammitglieds am „Gemba“ zeigt den Mitarbeitenden, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird und dass ihre Herausforderungen ernst genommen werden. Diese Aufmerksamkeit wirkt motivierend und zeigt, dass man sich als Führungskraft wirklich für die Menschen und die Prozesse interessiert, was das Vertrauen und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit steigert.

5. Erkennen von Abweichungen zwischen Theorie und Praxis

Gemba erlaubt es uns, das, was wir in Büchern gelernt oder in Berichten gelesen haben, in der Praxis zu sehen. Oft stellen wir fest, dass die Realität von der Theorie abweicht. Dieser Abgleich zwischen theoretischem Wissen und praktischer Anwendung ist entscheidend, um eine realistische Sichtweise zu entwickeln und Verbesserungen effektiv umzusetzen.

6. Förderung von kontinuierlichem Lernen und Verbesserung

Gemba bietet einen konstanten Lern- und Reflexionsraum. Indem man regelmäßig in die Praxis geht, bleibt man im kontinuierlichen Lernprozess und kann immer wieder neue Erkenntnisse gewinnen. Dieser direkte Einblick in die Realität fördert nicht nur die persönliche Entwicklung, sondern auch die Fähigkeit, sich als Führungskraft weiterzuentwickeln und immer präziser auf Veränderungen zu reagieren.

7. Erkennen von Widersprüchen und Verschwendung

Nur vor Ort lassen sich versteckte Ineffizienzen und Widersprüche im Prozessfluss erkennen. Es ist schwer, solche Probleme allein durch Zahlen oder Berichte zu erfassen. Gemba ermöglicht es, direkt zu sehen, wo es zu Verschwendung (Muda) kommt, sei es durch unnötige Wartezeiten, Überproduktion oder nicht genutzte Ressourcen. Diese Erkenntnisse sind der erste Schritt zur Prozessverbesserung.

8. Bessere Entscheidungen durch fundierte Informationen

Entscheidungen, die auf der Basis von Gemba-Beobachtungen getroffen werden, sind oft fundierter, da sie auf unmittelbaren Eindrücken und Erlebnissen basieren. Anstatt Entscheidungen im „Blindflug“ zu treffen, bietet Gemba eine Grundlage, die durch die tatsächliche Erfahrung der Situation gestützt wird und so zu präziseren und nachhaltigen Lösungsansätzen führt.

9. Verstärkung der Mitarbeiterbindung und Vertrauenskultur

Indem Führungskräfte regelmäßig vor Ort sind und aktiv den Austausch suchen, wird eine Kultur des Vertrauens geschaffen. Mitarbeitende fühlen sich stärker eingebunden und ernst genommen. Das Gemba-Prinzip zeigt, dass die Führung nicht nur an Ergebnissen interessiert ist, sondern auch an den Menschen, die diese Ergebnisse erarbeiten. Diese Nähe fördert eine stärkere Mitarbeiterbindung und erhöht die Motivation im Team.

10. Schnellere Identifikation und Lösung von Problemen

Wenn man direkt am Ort des Geschehens ist, können Probleme oft sofort erkannt und angegangen werden. Dadurch werden lange Kommunikationswege vermieden, und Lösungsansätze können viel schneller entwickelt und implementiert werden. Diese Reaktionsgeschwindigkeit ist besonders wertvoll in dynamischen Arbeitsumfeldern, wo schnelles Handeln oft den Unterschied macht.


Fazit: Gemba als Grundlage für nachhaltige Verbesserungen

Das Gemba-Prinzip ist mehr als nur „vor Ort sein“. Es bedeutet, die Realität der Arbeitswelt zu verstehen, zu fühlen und aktiv auf Probleme und Bedürfnisse einzugehen. Die oben genannten Gründe zeigen, dass „Go and See“ nicht nur die Qualität unserer Entscheidungen verbessert, sondern auch eine Kultur des Vertrauens, der Wertschätzung und der kontinuierlichen Verbesserung fördert. Gemba ist ein grundlegendes Prinzip für alle, die nicht nur prozessorientiert arbeiten möchten, sondern auch an einer menschlich orientierten und nachhaltigen Verbesserung interessiert sind.

Falls du Quellen brauchst: 😉

zum Thema Gemba und dem Konzept „Go and See“ gibt es einige wertvolle Quellen, die die Grundlagen und die Bedeutung des Prinzips in Lean Management und Prozessverbesserung vertiefen. Hier sind einige empfehlenswerte Quellen:

  1. „The Toyota Way“ von Jeffrey K. Liker
    Dieses Buch stellt die 14 Managementprinzipien des Toyota-Produktionssystems vor, darunter das Prinzip des „Gemba Walks“. Liker erklärt, wie Toyota Führungskräfte dazu anleitet, Probleme direkt am „Ort des Geschehens“ zu erkennen und anzusprechen. Toyota setzt Gemba gezielt ein, um Mitarbeitende einzubinden und kontinuierliche Verbesserung zu fördern.
    ISBN: 978-0071392310
  2. „Gemba Kaizen: A Commonsense Approach to a Continuous Improvement Strategy“ von Masaaki Imai
    Masaaki Imai ist ein Pionier im Bereich Kaizen und Lean Management. In „Gemba Kaizen“ betont er die Wichtigkeit von Gemba für kontinuierliche Verbesserung und zeigt, wie man durch Beobachtungen am Arbeitsplatz Ineffizienzen und Verbesserungspotenzial erkennt.
    ISBN: 978-0071790351
  3. „Lean Thinking: Banish Waste and Create Wealth in Your Corporation“ von James P. Womack und Daniel T. Jones
    Dieses Buch behandelt die Lean-Prinzipien im Allgemeinen, darunter auch das „Go and See“-Prinzip. Die Autoren erläutern, wie Lean Thinking dazu beiträgt, Verschwendung zu reduzieren, und warum es wichtig ist, direkt am Ort der Wertschöpfung präsent zu sein.
    • ISBN: 978-0743249270
  4. Artikel von der Lean Enterprise Institute (LEI)
    Das Lean Enterprise Institute bietet zahlreiche Artikel und Fallstudien, die das Gemba-Prinzip beleuchten und seine Anwendung in unterschiedlichen Branchen beschreiben. Die LEI-Ressourcen sind online frei zugänglich und bieten aktuelle Einblicke in die Praxis des Lean Managements und Gemba.
  5. „Learning to See: Value Stream Mapping to Add Value and Eliminate MUDA“ von Mike Rother und John Shook
    Dieses Buch befasst sich mit Value Stream Mapping und enthält auch Abschnitte, die die Bedeutung des direkten Beobachtens und Verstehens des Arbeitsflusses betonen. Die Autoren zeigen, wie Gemba hilft, Wertströme im Unternehmen besser zu verstehen und effizienter zu gestalten.
    ISBN: 978-0966784305
  6. „Managing to Learn: Using the A3 Management Process to Solve Problems, Gain Agreement, Mentor, and Lead“ von John Shook
    Dieses Buch stellt den A3-Prozess vor, der von Toyota entwickelt wurde, um Probleme durch strukturiertes Denken und Beobachtung direkt am Gemba zu lösen. Es zeigt, wie Führungskräfte durch Beobachtungen vor Ort tiefere Einblicke gewinnen können, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
    ISBN: 978-1934109205
  7. Artikel und Ressourcen von Kaizen Institute
    Das Kaizen Institute bietet viele Ressourcen, Webinare und Artikel, die die Grundlagen von Kaizen und die Anwendung des Gemba-Prinzips in der Praxis erläutern.
    Website: kaizen.com

Veröffentlicht von

Ruedi

Rudolf "Ruedi" Gysi Liebt Produkte welche Kunden begeistern und Forscher zum Thema Iterative Produktentwicklung. Versucht Work-Systems und Social-Systems nachhaltig miteinander zu verbinden damit wertvolle Arbeitswelten entstehen.

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