In meiner Rolle als Trainer habe ich in den letzten Jahren beobachtet, dass die Bereitschaft und Möglichkeit von Teilnehmenden, sich vorab auf Trainings vorzubereiten, spürbar abnimmt. Ein überfüllter Kalender, berufliche Prioritäten und der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance machen es den meisten nahezu unmöglich, sich intensiv auf Schulungen einzulassen, bevor sie beginnen. Diese Realität hat mich dazu bewogen, meinen Ansatz zu überdenken: Ich verlange von meinen Teilnehmenden keine Vorbereitungsarbeiten mehr. Doch dieser Ansatz hat seine Vor- und Nachteile. In diesem Beitrag möchte ich die Argumente beider Seiten beleuchten und reflektieren, was dieser Ansatz für das Lernerlebnis und die Effektivität von Trainings bedeutet.
Die Vorteile eines trainingszentrierten Ansatzes (ohne Vorbereitungsarbeiten)
1. Geringere Barrieren für Teilnehmende
Viele Menschen schrecken vor Trainings zurück, wenn umfangreiche Vorbereitungsaufgaben oder Studienmaterialien anfallen. Ein Ansatz ohne Vorbereitung reduziert diese Hürde und macht das Training zugänglicher – besonders für vielbeschäftigte Fachleute, die ohnehin schon unter Zeitdruck stehen.
2. Fokus auf den Trainingstag
Indem der gesamte Lernprozess auf den Trainingstag selbst konzentriert wird, haben Trainer die Möglichkeit, ein intensives und fokussiertes Lernerlebnis zu schaffen. Teilnehmer müssen sich nicht auf eigene Faust durch Materialien arbeiten, sondern werden direkt und effektiv in die Materie eingeführt.
3. Inspiration statt Pflichtgefühl
Vorbereitungsarbeiten können oft als lästige Pflicht wahrgenommen werden. Ohne diesen Druck können Teilnehmende mit einer positiveren Haltung in das Training starten, was die Motivation und Offenheit für neue Inhalte erhöht.
4. Realitätsnähe
In vielen Fällen spiegelt der Verzicht auf Vorbereitungen die reale Arbeitsumgebung wider. Im Berufsalltag werden Fachleute selten ausreichend Zeit haben, sich intensiv auf neue Projekte vorzubereiten. Trainings ohne Vorbereitung sind somit näher an der Realität und bereiten die Teilnehmenden darauf vor, effektiv mit begrenzten Ressourcen zu arbeiten.
Die Herausforderungen eines Ansatzes ohne Vorbereitungsarbeiten
1. Reduzierter Lerntiefgang
Ohne Vorbereitung fehlt den Teilnehmenden oft das Basiswissen, um im Training sofort in die Tiefe gehen zu können. Der Trainer muss mehr Zeit auf Grundlagen verwenden, was zulasten fortgeschrittener Inhalte oder praktischer Übungen gehen kann.
2. Fehlende Eigenverantwortung
Ein zentraler Aspekt des Lernens ist die Eigenverantwortung. Vorbereitungsaufgaben fördern diese, da sie die Teilnehmenden aktiv in den Lernprozess einbinden. Ohne Vorbereitung könnten Teilnehmende in eine passive Konsumentenhaltung verfallen.
3. Zeitdruck im Training
Wenn alle Inhalte während des Trainings vermittelt werden müssen, könnte die Zeit knapp werden. Trainer laufen Gefahr, wichtige Themen zu überfliegen oder komplexe Inhalte zu stark zu vereinfachen, um den Zeitplan einzuhalten.
4. Eingeschränkte Personalisierung
Vorbereitungsarbeiten können wertvolle Einblicke in die Vorkenntnisse und Interessen der Teilnehmenden geben. Ohne diese Informationen ist es schwieriger, das Training individuell auf die Gruppe abzustimmen.
Ein Mittelweg: Strategien für effektive Trainings ohne klassische Vorbereitungen
Es gibt Ansätze, um die Nachteile eines trainingszentrierten Modells abzumildern, ohne die Teilnehmenden mit Vorbereitungsarbeiten zu belasten:
1. Micro-Pre-Work
Anstatt umfangreiche Vorbereitungsaufgaben zu stellen, könnten kleine, leicht umsetzbare Aufgaben wie ein 5-minütiges Einführungsvideo oder eine kurze Umfrage genutzt werden. Dies schafft eine Basis, ohne die Teilnehmenden zu überfordern.
2. Vorbereitung während des Trainings
Ein kurzer „Kick-off“ zu Beginn des Trainings kann als Ersatz für Vorbereitungsarbeiten dienen. Dies könnte eine Einführung in die grundlegenden Konzepte oder ein gemeinsames Verständnis der Ziele und Erwartungen schaffen.
3. Flipped Classroom
Teile des Trainings könnten nach dem „Flipped Classroom“-Modell gestaltet werden: Teilnehmer erhalten nach dem Training zusätzliche Materialien, um das Gelernte zu vertiefen. So wird der Lernprozess zeitlich gestreckt und die Eigenverantwortung gefördert.
4. Fokus auf interaktive Methoden
Der Verzicht auf Vorbereitungen kann durch interaktive Methoden wie Gruppenarbeiten, Simulationen oder praktische Übungen kompensiert werden. Diese Ansätze fördern aktives Lernen und binden die Teilnehmenden stärker ein.
5. On-the-Job Learning
Anstatt sich auf Vorbereitungsaufgaben zu konzentrieren, könnten Trainings so gestaltet werden, dass sie direkt auf reale Arbeitskontexte angewendet werden. Dies erhöht den Transfer des Gelernten und minimiert den theoretischen Anteil.
Fazit: Der richtige Ansatz hängt von der Zielgruppe ab
Der Verzicht auf Vorbereitungsarbeiten ist keine universelle Lösung, sondern eine bewusste Entscheidung, die sich an den Bedürfnissen und der Realität der Teilnehmenden orientieren sollte. Während ein trainingszentrierter Ansatz Zugänglichkeit und Motivation erhöhen kann, bringt er auch Herausforderungen mit sich, insbesondere in Bezug auf Tiefe und Eigenverantwortung.
Als Trainer ist es unsere Aufgabe, ein inspirierendes und effektives Umfeld zu schaffen, das den Teilnehmenden einen klaren Mehrwert bietet – unabhängig davon, ob Vorbereitungen erforderlich sind oder nicht. Letztlich sollte das Ziel immer sein, den Lernerfolg zu maximieren, die Eigenverantwortung zu fördern und den Teilnehmenden Werkzeuge an die Hand zu geben, die sie direkt in ihrem Alltag anwenden können.
Wie stehst du zu diesem Thema? Hast du Erfahrungen mit Trainings ohne Vorbereitungen oder setzt du bewusst auf Pre-Work? Ich freue mich auf deine Gedanken in den Kommentaren!