In der Welt der Führung und Organisationstheorie gibt es eine Vielzahl von Modellen, die verschiedene Aspekte des menschlichen Verhaltens, der Zusammenarbeit und des Veränderungsprozesses untersuchen. In diesem Essay werde ich untersuchen, ob es Zusammenhänge zwischen dem Modell der fünf Dysfunktionen eines Teams von Patrick Lencioni, dem Intent-Based Leadership von David Marquet und der Veränderungskurve (J-Kurve) gibt. Ich möchte aufzeigen, wie diese Modelle miteinander in Verbindung stehen könnten und ob sich daraus ein ganzheitliches Bild der Organisationsentwicklung und des Führungserfolgs ergibt.
Die Modelle im Einzelnen
- Die fünf Dysfunktionen eines Teams (Lencioni) Das Modell von Patrick Lencioni beschreibt fünf Dysfunktionen, die verhindern, dass ein Team effektiv arbeitet:
- Fehlendes Vertrauen: Teammitglieder vertrauen einander nicht und sind daher nicht bereit, sich verletzlich zu zeigen.
- Angst vor Konflikten: Teams vermeiden Meinungsverschiedenheiten, was zu einer oberflächlichen Harmonie führt, anstatt notwendige Diskussionen zu führen.
- Fehlendes Commitment: Durch das Fehlen echter Diskussionen entsteht mangelndes Engagement.
- Vermeidung von Verantwortung: Ohne Engagement gibt es keine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
- Fehlende Ergebnisorientierung: Der Fokus auf individuelle Interessen steht über dem gemeinsamen Ziel des Teams.
- Intent-Based Leadership (Marquet) David Marquet beschreibt in „Turn the Ship Around!“ das Intent-Based Leadership, bei dem die klassische, hierarchische Führung durch eine Kultur der Entscheidungsfreiheit und des Vertrauens ersetzt wird. Die zentrale Idee ist, die Kontrolle auf das Team zu übertragen, indem der Anführer eher die Absicht vorgibt („I intend to…“) und damit die Entscheidungsfindung und Verantwortung an die Mitarbeitenden delegiert.
- Die Veränderungskurve (J-Kurve) Die Veränderungskurve (J-Kurve) beschreibt die Reaktion von Menschen und Organisationen auf Veränderungen. Zunächst gibt es einen Leistungsabfall (die Abwärtsbewegung der J-Kurve), bevor die Vorteile der Veränderung realisiert werden und die Leistung steigt. Dies symbolisiert die Übergangsphase, in der Unsicherheit, Widerstand und Lernen eine Rolle spielen.
Zusammenhänge und Verbindungen zwischen den Modellen
1. Vertrauen und Verantwortung – Lencioni und Marquet
Die erste Dysfunktion nach Lencioni, das fehlende Vertrauen, ist grundlegend, um effektive Teamarbeit zu ermöglichen. Marquet betont, dass Intent-Based Leadership nur dann funktioniert, wenn Vertrauen zwischen Führungskräften und Teammitgliedern besteht. Der Übergang von einer kontrollierenden zu einer dezentralisierten Führung erfordert, dass die Führungskraft Vertrauen in die Fähigkeiten und das Urteilsvermögen des Teams hat. Ebenso müssen die Teammitglieder Vertrauen darin haben, dass sie bei der Entscheidungsfindung unterstützt werden.
Wenn wir Marquets Ansatz betrachten, zeigt sich, dass er eine Lösung für die Dysfunktionen bietet, die Lencioni beschreibt. Das Übertragen von Verantwortung, wie es im Intent-Based Leadership propagiert wird, adressiert explizit die Vermeidung von Verantwortung (vierte Dysfunktion). Indem Teammitglieder Verantwortung übernehmen, fühlen sie sich befähigt und engagiert, was wiederum das Commitment (dritte Dysfunktion) und letztlich die Ergebnisorientierung (fünfte Dysfunktion) fördert.
2. Die J-Kurve und der Übergang zur Verantwortung
Der Übergang von einem traditionellen Führungsstil zu Intent-Based Leadership kann als Veränderungsprozess verstanden werden, der durch die J-Kurve symbolisiert wird. Zu Beginn einer solchen Veränderung könnten Teammitglieder Unsicherheit oder Angst spüren – was typisch für die Abwärtsbewegung der J-Kurve ist. Dieser Zustand könnte mit Lencionis Angst vor Konflikten korrelieren, da Teams möglicherweise Widerstand gegenüber den neuen Erwartungen empfinden, die mit mehr Selbstständigkeit und Verantwortung einhergehen.
Wenn jedoch Vertrauen aufgebaut wird und Teammitglieder beginnen, die Vorteile der neuen Struktur zu sehen, durchlaufen sie die Wachstumsphase der J-Kurve. Das Team lernt, wie es mit der neuen Entscheidungsfreiheit umgeht, und beginnt, Verantwortung zu übernehmen. Dieser Wandel wird zu mehr Engagement und einer Verbesserung der Teamleistung führen – ein klarer Aufwärtstrend in der J-Kurve.
3. Konflikt und Klarheit – Umgang mit Dysfunktionen im Veränderungsprozess
Ein weiteres wichtiges Thema ist der Umgang mit Konflikten. Lencioni stellt fest, dass Teams, die Konflikten aus dem Weg gehen, häufig oberflächlich harmonisch wirken, jedoch keine echten Fortschritte machen. Marquet hingegen sieht Konflikt als notwendig an, um echte Beteiligung zu erreichen. Im Rahmen von Intent-Based Leadership werden Teammitglieder aufgefordert, ihre Gedanken offen zu äußern und ihre Absichten mitzuteilen, was Konflikte nicht vermeidet, sondern auf produktive Weise kanalisiert.
In der J-Kurve führt der Übergang zu mehr Eigenverantwortung oft zu einem vorübergehenden Leistungsabfall, der auch durch Konflikte und Unsicherheiten ausgelöst wird. Die Fähigkeit, Konflikte als notwendiges Element der Weiterentwicklung anzuerkennen und zu moderieren, trägt dazu bei, dass die Veränderung letztlich in eine positive Richtung verläuft. In der Phase der Veränderung ist es entscheidend, dass Führungskräfte die Angst vor Konflikten abbauen und Teammitgliedern helfen, diese als Teil des Wachstums zu verstehen.
Zwischen-Fazit: Ein ganzheitliches Bild der Führung und Veränderung
Die Modelle von Lencioni, Marquet und die J-Kurve bieten unterschiedliche Perspektiven auf die Herausforderungen der Teamführung und Veränderung. Lencionis fünf Dysfunktionen beschreiben die typischen Barrieren, die Teams daran hindern, erfolgreich zu sein. Intent-Based Leadership bietet eine konkrete Methode, um diese Barrieren zu überwinden, indem es Vertrauen und Eigenverantwortung stärkt. Die Veränderungskurve (J-Kurve) beschreibt die emotionalen und leistungsbezogenen Reaktionen, die Teams durchlaufen, wenn sie neue Arbeitsweisen übernehmen.
Zusammen bieten diese Modelle einen ganzheitlichen Ansatz, um die menschlichen und organisatorischen Aspekte der Führung und Veränderung zu verstehen. Eine erfolgreiche Transformation erfordert:
- Vertrauen und Eigenverantwortung, wie es Marquet beschreibt, um die Dysfunktionen nach Lencioni zu überwinden.
- Akzeptanz der Veränderungskurve, um den natürlichen Leistungsabfall zu Beginn einer Transformation zu verstehen und zu begleiten.
Offene Fragen, die Führungskräfte stellen könnten, sind:
- Wie kann ich ein Umfeld schaffen, in dem Vertrauen das Fundament ist und Teammitglieder bereit sind, Verantwortung zu übernehmen?
- Welche Schritte kann ich unternehmen, um den Widerstand und die Unsicherheit im Anfangsstadium einer Veränderung (J-Kurve) zu verringern?
- Wie kann ich sicherstellen, dass Konflikte produktiv und als Teil des Wachstumsprozesses gesehen werden?
Zusammenfassende Modelle; Agile Leadership Journey (ALJ)
Die Agile Leadership Journey (ALJ) von Pete Behrens zeigt klare Zusammenhänge zu den zuvor beschriebenen Modellen – den fünf Dysfunktionen eines Teams von Lencioni, dem Intent-Based Leadership von David Marquet und der Veränderungskurve (J-Kurve). Diese Zusammenhänge lassen sich durch gemeinsame Prinzipien wie Vertrauen, Adaptivität, Verantwortungsübernahme und Kontinuierliche Entwicklung herstellen. Schauen wir uns an, wie ALJ die Prinzipien der anderen Modelle widerspiegelt und ergänzt.
1. Vertrauen und die Dysfunktionen nach Lencioni
Das Modell der fünf Dysfunktionen von Lencioni beschreibt, wie fehlendes Vertrauen und ein Mangel an klarer Kommunikation zu Ineffizienz im Team führen. In der ALJ wird das Konzept des Vertrauens als Fundament für effektive Führung sehr stark betont. Führungskräfte müssen laut ALJ zunächst in sich selbst investieren und die Fähigkeit entwickeln, ein wachsendes Vertrauensumfeld zu schaffen, das es den Teammitgliedern erlaubt, Verantwortung zu übernehmen und Konflikte produktiv anzugehen. Das fördert die Überwindung von Dysfunktionen wie fehlendem Vertrauen, Angst vor Konflikten und mangelndem Engagement.
2. Intent-Based Leadership und Catalyst Leadership
David Marquet’s Intent-Based Leadership baut darauf auf, die Entscheidungsbefugnisse von Führungskräften auf das Team zu übertragen. Dieser Ansatz findet sich auch in der ALJ wieder, insbesondere in der Förderung von Catalyst-Verhalten. Das Ziel ist es, Führungskräfte so zu entwickeln, dass sie nicht mehr allein kontrollieren, sondern ihre Teams befähigen, durch Verantwortung und Klarheit in ihren Rollen die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. ALJ verwendet den Begriff Catalyst Leader, um die Vision eines Anführers zu beschreiben, der Transformation und Wachstum initiiert, was stark der von Marquet propagierten Denkweise entspricht, dass Führung nicht Kontrolle, sondern das Schaffen eines rahmengebenden Umfelds ist, in dem Teams gedeihen können.
3. Die Veränderungskurve und die agile Führung
Die Veränderungskurve (J-Kurve) beschreibt, dass Veränderungen zunächst zu Unsicherheiten und einem Leistungsabfall führen, bevor sich positive Effekte bemerkbar machen. In der ALJ wird dies dadurch reflektiert, dass die Entwicklung von agiler Führung ein kontinuierlicher Prozess ist, der Experimentieren, Fehlerakzeptanz und die Entwicklung von Situationsbewusstsein erfordert. Führungskräfte müssen durch die J-Kurve gehen, um sich an neue Anforderungen anzupassen und ihre Teams durch diese Unsicherheiten zu begleiten. Die Programme der ALJ betonen die Wichtigkeit von Experimenten, die zum „Scheitern“ führen können, um daraus zu lernen und letztlich stärker und effektiver zu werden. Dieser Gedanke steht in direktem Zusammenhang mit der Notwendigkeit, sich durch die Tiefpunkte der Veränderungskurve zu arbeiten, bevor eine verbesserte Leistung erreicht wird.
4. Agile Leadership und die Verbindung zur Adaptivität
Die ALJ betont, dass Führungskräfte durch verschiedene Entwicklungsstufen wachsen müssen: vom Expert Leader über den Achiever bis hin zum Catalyst Leader. Diese Stufen sind vergleichbar mit der Reise durch die J-Kurve und dem Prozess, die Dysfunktionen nach Lencioni zu überwinden. Die Entwicklung von einer anweisenden Führung hin zu einem Catalyst, der inspiriert und Veränderungen ermöglicht, entspricht genau der Art von Veränderungen, die durch die J-Kurve dargestellt wird: Erst nachdem die Unsicherheit durchschritten wurde, können die Vorteile einer agilen und adaptiven Führung realisiert werden.
Zusammenfassung
Die Agile Leadership Journey stellt eine holistische Weiterentwicklung der beschriebenen Konzepte dar und integriert die Prinzipien von Vertrauen, Verantwortungsübernahme und kontinuierlicher Verbesserung:
- Das Modell von Lencioni und die fünf Dysfunktionen können durch die Förderung eines vertrauensvollen Umfelds überwunden werden, in dem agile Führungskräfte die Entwicklung ihrer Teams vorantreiben.
- Marquet’s Ansatz des Intent-Based Leadership wird in der ALJ weitergeführt, indem Führungskräfte lernen, Kontrolle abzugeben und andere zu befähigen.
- Die J-Kurve spiegelt die Herausforderungen und den erforderlichen Mut wider, durch Unsicherheit zu navigieren, um schließlich eine positive Veränderung und nachhaltigen Erfolg zu erzielen.
ALJ bietet durch Workshops und Programme wie Agility in Leadership oder Developing Catalyst Behaviors die Möglichkeit, Führung als fortlaufende Lernreise zu verstehen, die immer wieder neue Ansätze und Experimente erfordert, um in einem komplexen, sich ständig ändernden Umfeld erfolgreich zu sein.
Quellen
- Patrick Lencioni: „The Five Dysfunctions of a Team: A Leadership Fable“
- David Marquet: „Turn the Ship Around!: A True Story of Turning Followers into Leaders“
- Veränderungskurve (J-Kurve): Ursprung und Anwendung in der Psychologie und Change-Management-Theorie, unter anderem basierend auf Elisabeth Kübler-Ross‚ Modell der Veränderungskurve und weiteren Weiterentwicklungen im Bereich des Change Managements.
- Agile Leadership Journey – Leadership Training Programs
- Agile Leadership Journey – Developing Leadership Agility
Diese Modelle bieten eine integrierte Sichtweise auf Führung, Teamdynamik und Veränderung – und sind zusammen eine mächtige Grundlage für ein erfolgreiches Organisationsdesign.