Teams erfolgreich aus dem Homeoffice ins Grossraumbüro begleiten

So, da sind wir jetzt. Die meisten von uns haben mehrere Monate bis zu einem Jahr Homeoffice hinter sich. Wir mussten uns sozial distanzieren und haben das mit Bravour erledigt. Ich spüre, dass sich meine Fähigkeiten zur sozialen Beziehungsgestaltung im direkten vor Ort Kontakt stark verändert haben.

Diese Gedanken gehen mir dazu durch den Kopf:

Ich als Person:

  • Ich fühle mich heute überfordert, wenn ich mit mehr als zwei Personen gleichzeitig im direkten Kontakt interagiere.
  • Ich fühle mich heute überfordert, wenn ich nebst der Mimik jetzt auch wieder die Körpersprache (und das von mehreren Personen gleichzeitig) in meine Kommunikationskanäle integrieren darf. Da brauche ich deutlich länger, diese zu Analysieren und Schlüsse daraus zu ziehen.
  • Ich fühle mich schneller als früher von den Emotionen meines Gegenübers überfordert.
  • Ich werde schnell müde in der direkten Interaktion, in einem Gespräch etc.
  • Ich stelle mir vor, dass ich z.B. von den vielen Eindrücken bei einem vor Ort Workshop (den ich auch noch leite) sehr schnell ans Limit komme.

Ich in der Beziehung zu anderen:

  • Ich frage mich, ob die Beziehungen, die sich Online gebildet haben, der vor Ort Wahrheit standhalten? Auf wen kann ich zählen? Wer wird mir vor Ort fern sein? Was wird mich vielleicht sogar abstossen bei wem? Denn wir wissen, dass wir Online die Menschen nicht in ihrer Gesamtheit wahrnehmen. Es gibt blinde Flecken. (Die gibt es ja immer. Bei Online sind sie einfach noch viel grösser!) Diese blinden Flecken werden vor Ort teilweise sichtbar. Was mache ich, wenn ich zu einem Menschen mich online hingezogen gefühlt habe, dies jetzt aber vor Ort sich nicht bewahrheitet?
  • In der Online-Distanz habe ich mich teilweise freizügiger gezeigt, als vor Ort. Warum auch nicht, meine sozialen Interaktionen waren unter der Woche oftmals auf diesen beruflichen Online-Austausch beschränkt. Damit ich mein Bedürfnis nach sozialer Nähe in dieser Zeit stillen konnte, habe ich mich geöffnet. War auch nicht schmerzhaft, vom Gegenüber hat mich in jeden Fall immer eine Glasscheibe getrennt. Wie gehe ich jetzt mit dieser Freizügigkeit vor Ort um? Wenn ich mich wieder verschliesse, wie gehen dann die anderen damit um?
  • Ich frage mich, wie die anderen diese soziale Distanz erlebt haben. Was ängstigt, freut oder beunruhigt sie an dieser massiven Veränderung zurück ins Grossraumbüro?

Wir als Team:

  • Ich frage mich, wie sich vor Ort die neuen Online-Zeremonien und -Rituale verändern werden.
  • Gelten jetzt wieder die „alten“ Regeln und Normen von vor Corona? Oder nicht?
  • Im Homeoffice haben sich neue Subgruppen und Hierarchien innerhalb unseres Teams und in der Organisation gebildet. Werden diese der vor Ort Wahrheit standhalten?
  • Ich frage mich, wie wir uns im Team neu organisieren wollen. Wer wird wann wieviel vor Ort sein? Wie stellen wir sicher, dass wir in dieser neuen Normalität möglichst arbeitsfähig bleiben und uns als Team weiter entwickeln können?

Und gleichzeitig freue ich mich auch sehr darauf, aus dieser sozialen Isolation entlassen zu werden!

Veränderung der Rahmenbedingungen braucht Begleitung und Führung

Als Team Coach sehe ich, dass diese massive Veränderung der Rahmenbedingungen zwingend begleitet werden muss! Das erste Mal, also vom Grossraumbüro ins Homeoffice hat diese Begleitung oftmals gefehlt. Es kam auch sehr überraschend und musste über Nacht umgesetzt werden. Wir waren alle in der Panik Zone und mussten uns als Individuum und Team meist selbst organisieren und wieder arbeitsfähig werden.

Genau dieses Argument steht uns jetzt aber nicht mehr zur Verfügung. Es ist seit einiger Zeit absehbar, dass dieser fundamentale Wechsel der Rahmenbedingungen bevorsteht (zum Glück). Meine Erwartungshaltung an Führungskräfte und Prozessbegleiter (RTE’s, Scrum Master, Kanban Master, Coaches) ist es jetzt aber, die Teams auf diesem Weg zu begleiten!

Nur so können wir sicherstellen, dass die Menschen und die Teams rasch in der neuen Normalität optimal arbeitsfähig werden.

Und weil mir das Thema so am Herzen liegt, habe ich dazu ein Training lanciert: Teams erfolgreich aus dem Homeoffice ins vor Ort Büro begleiten!

Was sagt der Strudelwurm?

Nein, der Strudelwurm ist keine Erfindung von mir. Der ist von Maja Storch, einer Frau, die alles über unser Unterwusstsein weiss. Oder zumindest das, was öffentlich zugänglich ist :-).

So, jetzt mal Spass bei Seite. Der Strudelwurm ist der Name, den Maja Storch unserem Unterbewusstsein gegeben hat. Und unser Unterbewusstsein ist sehr schnell und sehr präzise. Es kann auf all unser Erfahrungswissen in unglaublicher Geschwindigkeit zugreifen und die Qualität der Aussagen unseres Strudelwurms ist phänomenal. Das ist der Grund, warum wir den Strudelwurm nicht ignorieren sollten.

Der Strudelwurm ist sehr einfach gestrickt, er/sie kennt „nur“ zwei Ausprägungen:

Hinzu und Wegvon.

Bei jeder Aussage / Entscheidung gibt es immer diese zwei Statements von unserem Strudelwurm. Und zwar immer beide Kräfte gleichzeitig, das ist wichtig zu verstehen. Wobei diese zwei Magnituden unabhängig voneinander sehr hoch oder klein sein können.

Beispiel meines Strudelwurms:
Soll ich weiter als Agile Coach arbeiten? (diese Fragestellung beschäftig mich immer mal wieder)

Hinzu: Ja, das fägt total. Immer ganz viel neues Lernen, mit neuen Menschen und Teams interagieren und gefordert sein. Der Gestaltungsspielraum ist riesig und die Freiheit auch.

Wegvon: Das ist teilweise sehr anstrengend und mühsam. Ich gehöre nirgends so richtig hin und sehe nie, was wirklich langfristig aus meinen Interventionen entstanden ist. Auch die Tage können vor Ort oder Online sehr intensiv sein, wenn Coaching oder Training angesagt ist.

Gut, das Beispiel ist jetzt sehr persönlich. Warum erzähle ich das auf diesem Blog? Es geht mir um das Potential in unseren Team-Entscheidungen den Strudelwurm jedes einzelnen zu Integrieren.

In vielen Workshops brauche ich Skalenfragen, um Stimmungsbilder, Standorte der einzelnen Teilnehmer abzufragen.

Skalenfrage

Auf einer Skala von 1 bis 100 „zwinge“ ich die Teilnehmenden, eine Zahl zu benennen und Fakten zu schaffen. Das können sehr unterschiedliche Fragen sein:

  • Wie gut fandest du den Workshop?
  • Wie war für dich die Investition der Zeit gegenüber dem Nutzen des Workshops?
  • Wie stark kannst du dich mit den getroffenen Massnahmen identifizieren?

Ich hab mal irgendwo gelesen, dass diese Aufgabe, unsere Gefühle bezüglich einer Frage auf dieser Skala 1 – 100 einzusortieren, sehr komplex ist. Und seit ich den Strudelwurm kenne, weiss ich auch warum. (Ich habe Maja Storch live erleben dürfen, kann ich wärmstens empfehlen. So gelacht habe ich selten.)

Der Strudelwurm sieht so aus:

Affektbilanz des Strudelwurms

Es gibt immer Hinzu (grün) und Wegvon (rot), wobei die zwei Tendenzen unabhängig voneinander sind. Und diese Tendenzen des Unterbewusstseins auf „nur“ eine Skala zu legen, ja da wird vieles verwischt und dem Strudelwurm mit seinen zwei Polen wird viel zu wenig Beachtung geschenkt. Ich zwinge meine Teilnehmenden dazu, diese zwei inneren Tendenzen zu homogenisieren und ein Birchermüsli zu machen, das dann weder Fisch noch Vogel ist. Und viele Informationen gehen bei diesem Vorgang verloren. Sehr schade.

Maja Storch hat die Visualisierung der Impressionen des Strudelwurms Affektbilanz genannt. Spannend ist, diese Affektbilanz in einem Workshop zu verwenden und auch zu interpretieren:

  • Hinzu: grösser als 70: wir sind dabei (also ich und der Strudelwurm)
  • Wegvon: kleiner als 25: wir gehen mit – die hinzu-Variante ist tragbar (für mich und den Strudelwurm)

Gehen wir über von der Entweder-Oder-Denke hinzu einer Sowohl-Als-Auch Haltung.

Tönt das spannend für dich? Dann probier die Affektbilanz mal aus und schreib mir im Kommentar deine Erfahrung dazu.

Die Firma liebt dich

Wieviel sozialer Kit darfs den sein? Wie fest darf / muss ich mich in einer Firma mit meiner Persönlichkeit eingeben? Wenig? Viel? Wenn ich mich viel eingebe, was erhalte ich dann von der Firma? Kann mich die Firma lieben?

In einer klassischen Firma steht der organisationale Zweck im Vordergrund. Ich als Person fülle eine Rolle aus, in der ich diesem organisationalen Zweck (mit allen anderen in der Firma) zudiene. Es gibt Vorgaben, Ziele, Hierarchien und Erwartungshaltungen, diese Strukturen geben Halt und Sicherheit. Hier steht die Vergesellschaftung im Vordergrund. Die Sozialbeziehungen sind lose, man muss nicht alles voneinander wissen, es ist auch nicht alles thematisierbar. Jeder existiert für sich alleine und das Gemeinsame entsteht oft nur genau dann, wenn man sich gemeinsam austauscht.

Im Gegenzug dazu die Firmen, die diese organisationalen, formalen Kräfte aufweichen und der Mensch in den Vordergrund stellen. Ich als Mensch gib mich maximal persönlich in die Firma ein, kann viel mitgestalten, die Gemeinschaft und die Sinnhaftigkeit sind in dieser Firma elementar. Formalismen gibt es so gut wie keine, Teams und Menschen sollen sich Selbstorganisieren. Hier steht die Vergemeinschaftung im Vordergrund. Die Sozialbeziehungen sind eng, alles ist thematisierbar und Vertrauen ist ein sehr hohes Gut. Das Gemeinsame ist omnipräsent.

Diese unterschiedlichen Arten von Firmen bilden für mich die zwei Waagschalen einer Waage.

Vergemeinschaftung versus Vergesellschaftung

Mit den agilen Arbeitsformen soll die Vergesellschaftung zu Gunsten der Vergemeinschaftung forciert werden. Die Waage kippt. Spannend ist, dass wenn wir mehr Vergemeinschaftung wollen, wir mit weniger Vergesellschaftung auskommen müssen.

Was versprechen wir uns von dieser Verschiebung?
Mehr Sinnhaftigkeit? Mehr Freude und Energie der Menschen bei der Arbeit? Mehr Team weniger Einzelkämpfer? Bessere Produkte für weniger Geld?

Birgt das nicht auch Gefahren?
Doch eindeutig. Wir Menschen lieben es, geliebt zu werden. Wer würde dafür nicht so einiges in Kauf nehmen. Es wirken kräftige Anreize, sich in diese Vergemeinschaftung einzugeben, die Werbesolgans dazu sind ja auch vielversprechend – wies im Titel zum Blog Beitrag steht. Gar nicht zu sprechen vom Gruppen- oder Organisationalen-Druck, der in einer „agilen Transformation“ entstehen kann. Doch kann uns die Organisation überhaupt bieten, was sie verspricht? Diese Nähe, diese Zugehörigkeit? Machen wir uns da nicht selbst etwas vor? Denn wenn wir den rosaroten Schleier der agilen Arbeitsformen heben, sehen wir darunter oft:

  • Organisationale Anreizsysteme aus den klassischen Zeiten wie Jahres-Ziele, die seit Jahrzenten unangetastet sind.
  • noch schlimmer: Teamziele, aber das Team hat keine gemeinsame Verantwortung zu tragen.
  • Menschen die sich sehr intensiv persönlich in ein Team eingeben, aber nicht wirklich Gestaltungsspielraum erhalten. Es wird viel gefordert aber wenig Rahmen dafür gegeben.
  • Menschen die sich persönlich eingeben, dadurch verletzbar werden, und ihr Einsatz nicht honoriert wird (ich spreche hier nicht nur von Geld).
  • Menschen denen so viel Nähe zu viel ist. Sie verletzten dadurch diese neuen agilen Normen und Regeln. Wird dies in der Firma angesprochen? Ja müssen den jetzt alle agil? Quasi Gruppenkuscheln als Firmenweck?
  • Firmen die agile Arbeitsformen vorschreiben, aber nicht in die sozialen Skills ihrer Mitarbeiter investieren wollen.
  • Mitarbeiter die früher Führungskräfte waren und heute in der Rolle Scrum Master dem Team dienen sollen. Führen sie jetzt unterschiedlich? Werden sie begleitet durch diesen persönlichen Change? Oder fühlt es sich so an, wie wenn diese Personen „nur“ eine neue Uniform tragen, darunter aber alles noch nach alt geht? Darf das in der Firma angesprochen werden oder ist das ein Tabu-Thema?

Wieviel Vergemeinschaftung darf es sein?
Meine Erfahrung ist, die Verschiebung ist in vielen Organisationen lanciert und einiges wurde bereits verändert. Eine bewusste Auseinandersetzung mit der Frage „Wieviel Vergemeinschaftung ist gut genug für uns?“ habe ich noch bei keiner Firma gesehen. Die Frage finde ich persönlich sehr wertvoll und muss unbedingt diskutiert werden.

Was müssen Firmen loslassen, damit mehr Vergemeinschaftung passieren kann?
Welche Elemente der Vergesellschaftung müssen losgelassen oder zumindest neu gedacht und umgesetzt werden, damit der richtige Nährboden für „mehr echte“ Vergemeinschaftung stattfindet?
Ui, spannendes Thema. Aber so gross, das werde ich in einem weiteren Blog-Post reflektieren.

Kann uns eine Firma lieben?
Nein, aus meiner Perspektive geht das nicht. Also lassen wir uns hier nichts vormachen und bleiben wir achtsam und kritisch.

Welche Qualität hat dein Online Meeting?

Mit der zweiten Home-Office Aufforderung in diesem Jahr werden Online Meetings und Workshops definitiv zur neuen Realität. Nach der kurzen Erholung im Sommer nehmen wir sehr bewusst wahr, dass die Qualität von Online Meetings und Workshops ein Schlüsselfaktor zur erfolgreichen Führung von Projekten, Teams und Organisationen ist. Herausfordernd an der jetzigen Situation ist auch, dass sie nicht absehbar ist. Wie lange werden wir so zusammenarbeiten (müssen)? Wir wissen es nicht.

Professionelle Moderation von Online-Meetings und -Workshops ist anspruchsvoll. Vieles was sich in einem Meeting gemeinsam in einem Sitzungszimmer auf natürliche Art und Weise ergibt, muss bei Online-Meetings bewusst gestaltet werden.

Für mich gibt es unterschiedliche Qualitäts-Stufen von Online Meetings, je nachdem welche Sinne der Teilnehmenden an der bewussten Kommunikation beteiligt sind.

Stufenmodell

Diese Graphik zeigt bei den einzelnen Stufen auf, welche Sinne angesprochen sind. Ich habe als Grundlage das Eisbergmodell von Sigmund Freud verwendet. Die blaue Linie symbolisiert die Wasseroberfläche, somit die bewusst wahrnehmbaren Eindrücke. Unterhalb der Wasseroberfläche werden die Sinne nicht mit bewusster Wahrnehmung bedient. Die Sinne sind ja aber gleichwohl aktiv. Und was machen wir sozialen Wesen in dieser Situation? Wir probieren das, was wir nicht bewusst wahrnehmen können, zu kompensieren, indem wir es uns vorstellen. Je besser wir die Teilnehmenden bereits persönlich kennen, desto einfacher fällt uns diese Kompensation.

Gemeinsam einsam

So präsentiert sich ein Online-Meeting auf der Stufe „Gemeinsam einsam“: Alle sind eingewählt im Call, aber ob sie effektiv präsent sind, wenigstens körperlich, ist nicht sichtbar, da die meisten das Video ausgeschaltet haben. Das Mikrophon ist mute, nur wer sich meldet, schaltet es kurz ein. Ganz unterhaltsam ist, wenn ein Teilnehmender das Mikrophon doch mal aus Versehen unmute hat und dann ein Telefon entgegen nimmt mit der Aussage: „Ja, ich habe Zeit, bin nur aktuell in einer Sitzung…“ (habe alles schon erlebt).

Das Ergebnis solcher Online Meetings: es hat stattgefunden. Der Outcome ist nicht wichtig. Es wird nichts visualisiert, weder die Arbeit im Meeting noch die Ergebnisse. Maximal sind Informationen von A nach B geflossen. Entscheide wurden, falls überhaupt, im Meeting von einzelnen Teilnehmenden gefällt.

Gemeinsam einsam

Gemeinsam einsam:

  • Das Ohr ist, wen überhaupt, eingeschaltet.
  • Die Augen sind nicht beteiligt. Sie schauen auf eine meist dunkle Fläche.
  • Das Zwischenmenschliche ist maximal reduziert. Emotionen können wir höchstens durch die Stimmlage interpretieren.
  • Körperliche und mentale Präsenz werden nicht eingefordert.
  • Adaptive Führung des Meetings ist unmöglich.

Fazit: Die Kommunikationstiefe ist sehr gering, Missverständnisse und Fehlinterpretationen sind der Standard. Da die Kommunikationstiefe so gering ist, bleiben diese Missverständnisse verborgen.

Sich acht Stunden am Tag mit dem dunklen Bildschirm zu unterhalten, kann sehr einsam machen.

Spannend ist, dass unser soziales Wesen, das wir alle sind, in diesen Meetings hauptsächlich damit beschäftigt ist, das unsichtbare (sprich Mimik, Gestik und daraus resultierend die Stimmung, die Emotionen…) zu kompensieren. Es läuft in uns allen ein paralleler Prozess zum eigentlichen Meeting statt, indem wir uns fragen:“ Was meinte sie jetzt damit?“, „Wie könnte ihre Mimik zu dieser Aussage aussehen?“. Da wir so wenig voneinander wahrnehmen, läuft dieser Kompensationsmechanismus auf Hochtouren. Das ist unglaublich ermüdend. Ich bin nach so einem Meeting immer fix und fertig.

Ich finde es bedenklich, das dies in vielen Organisationen heute der Standard von Online-Meetings ist.

Gemeinsam anwesend

So präsentiert sich ein Online-Meeting auf der Stufe „Gemeinsam anwesend“: Alle sind eingewählt im Call und ein paar Anwesende haben das Video angeschaltet. Die soziale Kontrolle ist schon mal da, aber sie wird nicht eingefordert. Oft sehe ich Teilnehmende, die offensichtlich etwas anderes machen und mental nicht am Meeting anwesend sind. Und niemand im Call spricht es an. Spannenderweise regrediert dieser Call meistens zu einem „Gemeinsam einsam“. Die wenigen, die zu Beginn das Video eingeschaltet hatten, stellen es mit der Zeit ab (siehe gelbe Pfeile unten in der Graphik). Es ist unangenehm, selber so transparent zu sein, wenn andere sich immer noch im Unsichtbaren verkriechen. In so einer Situation das Video anzubehalten braucht Mut und Kampfgeist.

Im Meeting selber gibt es keine Struktur, auch keine informelle. Es wird nichts visualisiert. Weder den Ablauf des Meetings, die Ziele oder die (Zwischen-) Ergebnisse. Maximal wird eine PowerPoint zum Reviewen eingeblendet.

Das Ergebnis solcher Online Meetings: es hat stattgefunden. Der Outcome ist nicht wichtig. Maximal hat man Feedback zu einem präsentierten Ergebnis erhalten. Entscheide werden im Meeting von einzelnen Teilnehmenden gefällt. Er/Sie lässt sich, falls überhaupt, im Meeting beraten.

Gemeinsam anwesend

Gemeinsam anwesend:

  • Das Ohr ist eingeschaltet.
  • Die Augen sind beteiligt und können Mimik und Gestik wahrnehmen (solange das Video eingeschaltet ist.)
  • Das Zwischenmenschliche ist immens reduziert. Emotionen sind fast unsichtbar.
  • Körperliche Präsenz wird (mit Video) sichergestellt, aber nicht eingefordert.
  • Mentale Präsenz ist nicht notwendig.
  • Partielle Führung des Meetings wird möglich.

Die Kompensationsleistung der Teilnehmenden ist nach wie vor sehr hoch.

Gemeinsam kommunizeren

Ok, jetzt wird es langsam spannend. In dieser Art von Meeting findet echte Kommunikation statt. Es wird über Ton und Bild (Mimik, Gestik, Körpersprache) miteinander kommuniziert. Teilweise werden Arbeiten im Workshop visualisiert, aber meistens nicht dort gemeinsam daran gearbeitet.

Im Meeting selber gibt es eine Struktur, oftmals nur eine informelle. Das Meeting wird geführt. Entscheide werden im Meeting getroffen. Es finden Mono-, Dia- und Teamaloge (alle im Meeting sind in das Gespräch involviert) statt.

Gemeinsam kommunizieren

Gemeinsam kommunizieren:

  • Das Ohr ist eingeschaltet.
  • Das Auge kann Mimik, Gestik und Körpersprache der Video-Teilnehmenden wahrnehmen.
  • Körperliche Präsenz wird eingefordert.
  • Mentale Präsenz wird teilweise eingefordert.
  • Das Zwischenmenschliche ist vorhanden. Emotionen werden langsam sichtbar.

Das Ergebnis dieser Online Meetings: es hat stattgefunden, wir fühlen uns als Teil von diesem Meeting und bestenfalls als Mit-Gestalter der Meetings-Ergebnisse. Entscheide werden bestenfalls im Meeting von einzelnen oder mehreren Teilnehmenden gefällt, je nach Führung des Meetings.

Da mehrere Sinne von den Teilnehmenden an diesem Meeting mit Eindrücken bedient wurden, fühlen wir uns danach weniger leer. Der Kompensationsaufwand ist ertragbar.

Dies ist in vielen Organisationen das natürliche Level eines vor Ort Meetings! Was ich damit sagen will (warum es fett geschrieben ist) ist es nicht erschreckend, wie stark wir bei den Online-Meetings degenerieren?

Gemeinsam denken und neues Gestalten

Und hier bin ich zu Hause als Facilitatorin. An diesem Meeting werden gemeinsam neue Ideen und Themen besprochen, geschärft, entwickelt und darüber Entschiede gefällt.

Gemeinsam denken

Diese hohe Intensität von Zusammenarbeit setzt folgende Kommunikation voraus:

  • Das Ohr ist eingeschaltet.
  • Das Auge kann Mimik, Gestik und Körpersprache der Video-Teilnehmenden wahrnehmen.
  • Körperliche Präsenz wird eingefordert.
  • Mentale Präsenz wird eingefordert, vor allem durch das gemeinsam Denken in einem Kollaborationswerkzeug.
  • Das Zwischenmenschliche wird durch die Partizipation an der Kollaboration eingefordert, soweit dies Online möglich ist. Emotionen sind sichtbar fast wie in einem Vor-Ort-Meeting.

Wer das Eisberg-Modell kennt, weiss, auch bei dieser Stufe gibt es noch vieles, was unterhalb der Wasseroberfläche ist. Darauf verzichte ich jetzt bewusst, es würde das Modell nur aufblasen, ohne für den Kontext der Online-Meetings Mehrwert zu schaffen. (Für Neugierige: Unsere Blog-Beiträge zu Themen unterhalb der Wasseroberfläche)

Take away

  • Online Meetings müssen / dürfen bewusst gestaltet werden. Das entlastet uns und die anderen.
  • Sich vor dem Meeting (vor allem als Organisator) bewusst für ein Kommunikationsniveau entscheiden, dies vor dem Meeting (oder in der Einladung) mitteilen und im Meeting einfordern.
  • Wenn das Niveau eines Vor-Ort-Meetings erreicht werden will – Stufe: Gemeinsam kommunizieren – braucht es bei den Online-Meetings Regeln. Diese Regel müssen / dürfen aktiv eingefordert werden.
  • Je tiefer die Kommunikation im Online-Meeting, desto nachhaltiger das Ergebnis.
  • Je tiefer die Kommunikation im Online-Meeting, desto weniger Anstrengend ist es für uns. Zumindest bis zur Stufe „Gemeinsam kommunizieren“. Die Stufe „Gemeinsam denken“ braucht von den Teilnehmenden auch viel Energie, welche im Meeting in Gestaltungsenergie umgewandelt wird und somit eine Wirkung im Meeting und im gemeinsamen Ergebnis erzeugen kann! Nach diesem Meeting fühlen wir uns Müde, aber nicht leer. Das gemeinsame Gestalten liefert uns auch Energie zurück.

Tönt das spannend für dich und du möchtest mal ein Online Meeting auf der Stufe „Gemeinsam denken“ erleben?

Dann nimmt mit uns Kontakt auf, wir haben uns auf diese Qualität von Online Meetings spezialisiert. Wir übernehmen die Verantwortung für die Moderation, die Technik und das Visualisieren der Arbeit und der Entscheide. Damit ihr euch ganz auf den Inhalt konzentrieren könnt. Daraus resultieren wirkungsvolle Online-Meetings.

Produkt Visionen in Verwaltungen reifen lassen

Diese Woche durfte ich in einer Bundesverwaltung die Reifung einer Produkt Vision / Produkt Idee mit der Iteration Zero beschleunigen.

Grundsätzlich war das Team schon mehrere Monate gemeinsam auf dem Produkt-Entwicklungs-Weg unterwegs, aber einfach nicht in Synch. Sprich, ihre Visionen zu dem, was sie gemeinsam herstellen dürfen, waren nicht vergemeinschaftet. Was dazu führte, dass sie sich entweder mit Grundsatzdiskussionen („Warum“ ist unklar) oder mit ganz konkreten Fragenstellen („Wie“ ist immer gestaltbar :-)) aneinander gerieben haben.

Die Iteration Zero als Framework ebnet ja den Weg von der Produktidee zum MVP-Backlog. Ich möchte gerne hier ein paar meiner Learnings aus dieser ersten Iteration Zero in einer Bundesverwaltung teilen:

Arbeit sichtbar machen und Entscheide im hier & jetzt fällen

Ich habe konsequent alles erarbeitete auf Flipchart festgehalten. Was dazu geführt hat, dass am Schluss alle Wände des Workshop-Raumes sehr bunt waren :-).

Die Entscheide im hier & jetzt fällen, so dass sie auch nachhaltig in der Organisation getragen werden, ist ein sehr schwieriges Thema. Obwohl wir den Leiter der Verwaltung zu Beginn im Workshop hatten und er uns sehr gut unterstützt hat, bin ich heute noch nicht sicher, ob man nicht in 1-2 Wochen das Feld nochmals von hinten aufrollen muss. Was alle Ergebnisse der Iteration Zero in Frage stellen wird.

Das Problem sind nicht die Entscheide per so. In einer so klassischen Organisation werden viele Entscheide, mal getroffen direkt in Beton gegossen. Es ist einfach zu viel Aufwand, immer alle abzuholen, nur damit dann eine Entscheidung gefällt werden kann. Was bedeutet, einmal entschieden – (fast) nie mehr veränderbar. Da würde ich mich auch vor einer Entscheidung hüten. Und lieber den bilateralen Weg wählen ;-).

Workshop-Raum voller Energie

Gut, was jetzt kommt, mutet vielleicht ein wenig spirituell an. Aber wenn das Team drei Tage intensiv zusammengearbeitet hat und alle Ergebnisse im Workshop-Raum aufgehängt sind und dann eine Teilnehmerin sagt: „Jetzt spüre ich endlich mal, welche Energie gemeinsame Arbeit, die auch sichtbar ist, generieren kann“, dann habe ich als Facilitator schon fast Tränen in den Augen. Genau darum geht es – das ist echte Kollaboration – gemeinsames Denken.

Alle Diskussionen über Team-Spaces für Scrum-Teams oder agile Teams erübrigen sich in Zukunft. Nichts geht über die eigene Erfahrung!

Prozess-Geschwindigkeit

Ich durfte bereits mehr als 100 Teams bei Iteration-Zero-Workshops begleiten. Dieses Mal hat sich gezeigt, dass in einer Verwaltung kollaboratives Arbeiten und gemeinsames Denken nicht zum Alltag gehört. Für die Teilnehmenden waren die drei Tage Workshop sehr ermüdend und anstrengend. Und ich möchte hier erwähnen, dass sie sehr gut mitbearbeitet und sich enorm engagiert haben.

Als Team zusammenwachsen

Diese Menschen haben schon mehrere Monate gemeinsam gearbeitet. Einfach jede/r für sich in seinem Universum und (dank Corona) online. In diesen drei Tagen haben sie sich als Menschen mit ihren Stärken und Schwächen kennengelernt. Sie sind als Team zusammengewachsen. Haben Konflikte ausgetragen, sich in emotional schwierige Situation erlebt und zum Schluss sehr erfolgreich ihre Ergebnisse den Stakeholdern präsentiert.

Die Iteration Zero hat nicht nur fürs Produkt Fokus und Richtung gegeben, auch auf der teamdynamischen Ebene sind sie als Team reifer geworden. Deshalb muss das Ganze unbedingt auch professionell moderiert werden. Ich musste mehr als einmal Verhaltensweisen spiegeln, Reflexionen anregen, Feedbacks aktiv einholen und die Teilnehmenden aus ihrer Wohlfühlzone in die Lernzone bugsieren

Vielleich kann ich ja den einen oder anderen Teilnehmenden dazu motivieren, ihre Sicht dieser Iteration Zero noch in meinem Blog kundzutun.

Auf jeden Fall will ich mich für diese intensive, lustige, spannende und lehrreiche Iteration Zero bedanken.

Haben dich meine Gedanken angeregt? Bist du in einer ähnlichen Situation mit deinem Team / deiner Organisation? Dann melde dich doch bei mir und lass unsere gemeinsame Iteration-Zero-Reise starten…

Wie generiere ich Flow auf der Wertschöpfungskette?

Viele Organisationen haben sich auf den Weg hinzu mehr Effektivität und Effizienz gemacht – nennen wir das agiler werden. Dabei haben sie neue Strukturen mit fixen Teams gelegt, Koordinationslevels etabliert und oftmals einen grossen Teil der Organisation in den gleichen Rhythmus versetzt. Also, alle Teams erzeugen im 10-Wochen Rhythmus ihre Produktinkrement. So weit, so gut.

Ist das der Zielzustand der Organisation oder der erste Schritt auf einer langen Reise?

Meine Hypothese: es ist ein guter Anfang aber noch lange nicht der heilige Gral der agilen Organisation. Da geht noch viel mehr!

Rythmus versus Flow

Rhythmus ist in der Musik allgegenwärtig. Ein Orchester ohne den gleichen Rhythmus, was für eine Kakophonie :-). Das Metronom oder der Dirigent gibt ihn vor und alle im Orchester orientieren sich daran. Hier gibt Rhythmus Struktur, Gleichmässigkeit und Orientierung.

Wikipedia sagt dazu: Rhythmus ist ein vor allem aus Musik und Sprachwissenschaft, aber auch aus Biologie, Medizin, Natur, Psychologie und Tanz übernommener, kunstwissenschaftlicher Begriff der Ästhetik. Der Begriff ist nicht scharf fixierbar. Jedoch ist es üblich geworden von Rhythmus zu sprechen, wenn Abstände, Anordnungen/Positionen, Farben und Formen von Elementen (Bildelemente, bildnerische Elemente, Einzelelemente, Gestaltungsparameter) nach einer gewissen Gesetzmäßigkeit variieren und eine Sequenz bilden. Durch mindestens einmalige Wiederholung der Sequenz verbinden sich die Elemente zu einer linearen Form. Die rhythmische Wiederkehr der Sequenzen sorgt für Beständigkeit, Klarheit und Ordnung, gleichzeitig aber auch für Abwechslung und Dynamik.

Fazit zum Rythmus: gemeinsam wird ein grosses Ganzes kreiert.

Flow ist mir aus der Psychologie bekannt, wenn ich ganz im Flow bin. Dann bin ich ganz bei mir, ich bin am highperformen. Ich bin sehr achtsam im operativen und im strategischen Arbeiten. Es gelingt mir mehrere Horizonte gleichzeitig im Auge zu behalten und sehr rasch zu adaptieren. Dadurch habe ich das Gefühl, alles fliesst. Das dadurch generierte Selbstvertrauen lässt mir Probleme als Chance sehen und sie aktiv anpacken. Dadurch erschliessen sich mir neue Lösungsräume, was wieder rum zu mehr Fluss führt. Ein positiver Teufelskreis entsteht :-). Vorausgesetzt, das ganze wird mit einer hohen Intensität betrieben.

Wikipedia sagt dazu: Flow (englisch „Fließen, Rinnen, Strömen“) bezeichnet das als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung (Konzentration) und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit („Absorption“), die wie von selbst vor sich geht – auf Deutsch in etwa Schaffens bzw. Tätigkeitsrausch oder auch Funktionslust. Der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi gilt als Schöpfer der Flow-Theorie, die er aus der Beobachtung verschiedener Lebensbereiche, u. a. von Chirurgen und Extremsportlern, entwickelte und in zahlreichen Beiträgen veröffentlichte. Heute wird seine Theorie auch für rein geistige Aktivitäten in Anspruch genommen. Flow kann bei der Steuerung eines komplexen, schnell ablaufenden Geschehens im Bereich zwischen Überforderung (Angst) und Unterforderung (Langeweile) entstehen. Der Flow-Zugang und das Flow-Erleben sind individuell unterschiedlich. Auf der Basis qualitativer Interviews beschrieb Csíkszentmihályi verschiedene Merkmale des Flow-Erlebens.[1] Flow-Zustände können bei entsprechenden Bedingungen in hypnotische oder ekstatische Trance übergehen. Manche Wissenschaftler verstehen den Flow selbst bereits als Trance.

Fazit zum Flow: die Achtsamkeit liegt auf der Interaktion (Kollaboration) und der optimalen Koordination der unterschiedlichen Horizonte.

Was heisst das jetzt für Organisationen?

Die Knacknuss am Rhythmus ist aus meiner Sicht, dass der in Organisationen nur Sinn macht, wenn ALLE auf ein grosses GANZES zuarbeiten. Dies ist in grossen Organisationen sicher nicht der Fall. Da gibt es ganz viele wichtige (kleine) Produkte, sicher mit vielen Abhängigkeiten untereinander, aber nicht (nur) ein Produkt. Rhythmus empfinde ich deshalb in grossen Organisationen nicht als das richtige Instrument, um Speed auf der Wertschöpfungskette zu generieren. Faktum ist aber, das genau dort jetzt viele Organisationen stehen.

Aus meiner Sicht wäre der nächste Entwicklungsschritt von Organisationen, sich in den Flow zu versetzen. Mutig den Rhythmus zu verlassen, sich zu hinterfragen, wo den Flow in der Organisation Sinn macht und Flow dort gezielt einzuführen und zu Leben.

Muss alles im Flow sein?

Meine Hypothese: Nein, das würde die Organisation überfordern. Flow soll nur dort erzeugt werden, wo nötig, dann aber sehr bewusst und diszipliniert! Flow fordert eine hohe Interaktion, Kollaboration und Reflexion zwischen den Teams und über die Koordinationsebenen hinweg. Und wir wissen heute, dass nicht alle Menschen bereit sind, sich so intensiv einzugeben.

Welche Methoden eigenen sich, um Flow zu generieren?

Kanban in der Wissensarbeit und die Flugebenen von Kanban sind schlanke, effektive Werkzeuge, welche mit viel Disziplin und Spirit betrieben, sich wunderbar zur Flow-Generierung eignen. Die Flugebenen bedienen die verschiedenen Horizonte und die hohe Interaktion und Kollaboration wird über die Meetings auf den Ebenen sowie dem Delegierten-Prinzip umgesetzt. Wichtig ist die Haltung, mit der Kanban eingesetzt werden sollte: Kanban ist ein Analyse-Werkzeug für Arbeitssysteme und löst uns per se kein einziges Problem. Es macht aber die Probleme sichtbar, die dadurch besprechbar und lösbar werden. Systemische Probleme sind als Chance wahrnehmen und diese Chancen mutig anzupacken.

Falls du interessiert bist, Kanban näher kennen zulernen, dann nimm an unseren Kanban-Trainings teil und lass dich inspirieren.

Innovation im Sozialen-System?

Ich lese aktuell das Buch von Hermann Scherer „Glückskinder“ und ich muss davor warnen. Gut, ich kann ja nur erzählen, was aktuell mit mir passiert, bei der Lektüre dieses Buches. Vielleicht ist es die logische Fortsetzung von Corona, das einreissen vieler meiner Grenzen und Regeln. Ich musste mich seither mit (für mich) Undenkbarem arragieren und stelle verwundert fest: es ist überhaupt nicht schlimm! Im Gegenteil, so viel Freiheit für meinen Geist habe ich schon sehr lange nicht mehr gespürt.

Und jetzt Glückskinder – das Buch welches uns dazu einlädt, Chancen zu sehen und sie zu nutzen. Die Chancen fliegen uns allen zu, oftmals in der Phase zwischen Wachsein und Schlafen. Also wenn sich das Unterbewusstsein öffnet und die zwei Aktoren in uns (das Bewusst- und das Unterbewusstsein) zusammen ein Bier trinken. Dann kommen sie, die Chancen. Ok, das habe ich schon vorher unbewusst wahrgenommen, es wurde mir jetzt einfach noch bestätigt (spannend, warum muss es mir zuerst von jemandem Fremden bestätigt werden?). Und seit ich das weiss, oh je, ich kann mich vor Ideen nicht mehr retten. Aktuell stehe ich sogar in der Nacht auf, um meine Ideen auf Zettel zu schreiben ;-).

Und von so einer Idee will ich hier schreiben:

Ruedi und ich haben kürzlich das neue Denkmodell des Arbeits- und Sozialsystem entworfen. Im Arbeitssystem ist heute common sense, dass die Lernkurve steiler werden muss. Und dazu müssen wir mehr Experimentieren, Fehler machen und uns mit unseren Kunden auseinandersetzen… Das Ganze kann unter „mehr Innovation“ subsumiert werden. Dazu wurden in grösseren Organisationen nicht nur Methoden etabliert, nein, es wurden auch Räume so gestaltet, dass sie unseren Spieltrieb und somit die Kreativität anregen. Keine Produktentwicklung darf mehr starten, bevor das Team nicht mehrere Wochen in so einem Innovationsraum eingesperrt worden ist – Ziel möglichst viele Fehler machen und möglichst viel Lernen – nein, den Kunden glücklich machen. Die Innovationsräume können wir auch als Sandkasten im Arbeits-System der Organisation bezeichnen. Spielen, failen, lernen, spielen, lernen, gewinnen usw.

Es ist mittlerweile erwiesen, dass auch im Sozialen-System von Organisationen / Teams ganz viel Potential brach liegt. Wie kommen wir jetzt hier ins lernen? Sollten wir nicht auch für die Teams Sandkästen zur Entwicklung im Sozialen zur Verfügung stellen? Und auch hier spielen, failen, lernen, spielen, gewinnen, lernen usw. betreiben? Wie müssten hier die Methoden aussehen? Wie die Räume? Wann muss / darf / kann ein Team in so einen Sozialen-Innovationsraum? Mit welchen Anreizen können wir die Teams locken (analog den technischen Spielzeugen in den Innovationsräumen)?

Ich hab noch keine Antworten, aber ich bin fast sicher, dass sie mir zufliegen werden… vielleicht schon heute Nacht beim Einschlafen…

Online Training Advanced

Online Trainings auf einem Interaktionslevel wie ein Präsenztraining vor Ort – das konnte ich mir bis Mitte März nicht vorstellen. Heute kann ich stolz behaupten, dass wir bei den Online Trainings (fast) das identische Niveau erreicht haben. Einzig bei den Lernspielen sind wir noch nicht auf dem Punkt und noch in der Experimentierphase. Inspiration ist hier herzlich willkommen.

Was erleben jetzt unsere Online-Training-Teilnehmende?

Tools auf das Maximum reduzieren

Wir arbeiten im Training mit Miro. Punkt. Darin findet das ganze Training statt. Einmal Miro verstanden und sich orientiert auf dem Miro-Board, können sich unsere Teilnehmenden auf den Inhalt konzentieren.

Ein zwei-tages Training in Miro

Der Einsatz von mehreren Tools parallel (wir habens ausprobiert) verwirrt und verunsichert stark. Und ja, bei uns waren auch Personen aus dem IT-Umfeld damit überfordert.

Werkzeug vor Inhalt

In der ersten Phase des Trainings müssen wir alle Teilnehmende befähigen, mit Miro zu Arbeiten. Erst wenn diese Hürde überwunden ist (egal wie lange sie dauert, da muss man durch) können wir mit der Vermittlung von Inhalten starten. Wir nennen diese Phase die Skilling-Phase und regen unsere Teilnehmende an, sich spielerisch mit dem Tool auseinander zu setzen.

Skilling Phase

Hier beispielhaft die Erstellung von Punkten und platzieren auf der Karte oder auch der Umgang mit Postits.

Wichtig ist darauf zu achten, dass die Teilnehmenden alle Funktionalität, die sie später in den interaktiven Gruppenarbeiten kennen müssen, in der Skilling-Phase kennenlernen. Als Trainer liegt hier in der Ruhe die Kraft. Ganz ruhig bleiben, auch wenn die Teilnehmenden nervös werden. Und das werden sie, da hier (bereits in einer so frühen Phase des Kennenlernens) ihre Schwächen sichtbar werden.

Check In ins Training

Wie bereits in unserem ersten Blog-Beitrag zu Online Facilitation erwähnt, ist das Check in ins Training (ob online oder vorort) ein elementarer Teil davon. Im Online Modus wird hier auch bereits Skilling und auch Gruppeneinteilung etc. vorgenommen.

Check in ins Training

Der Ablauf des Trainings auf einem Board, die gemeinsamen Regeln im Training und eine Vorstellungsrunde sind da immer mit dabei.

Orientierung auf dem Miro-Board

Wir verstehen unsere Trainings als Lernpfade. Dies hat uns angeregt, auch Wege auf dem Miro-Board zu skizzieren.

Orientierung auf dem Miro-Board

Der blaue Pfeil symbolisiert den ersten Tag, der gelbe den zweiten. Ganz simpel, gibt viel Orientierung und Sicherheit.

Schmöcker-Ecke

Die Schmöcker-Ecke auf dem Miro-Board darf auch nicht fehlen ;-). Online sei Dank, direkt verlinkt auf Communites, Videos etc.

Schmöcker-Ecke

Gruppenarbeiten

Mit dem bereits bewährten Prinzip von Pfeilen und eigenen Arbeitsbereichen (Frames) können auch Gruppenarbeiten sehr gut in Miro durchgeführt werden. Nicht vergessen: den Auftrag für die Gruppenarbeit auch nochmals im Frame der Arbeitsgruppe (hier brauner Kasten) zu visualisieren.

Gruppenarbeit auf dem Miro-Board

Alle Aufträge für Gruppenarbeiten sind auf dem Miro-Board identisch visualisiert, mit eigenen Microsoft-Teams-Calls für die Kommunikation. Timeboxen lassen sich in Miro mit dem integrierten Timer für alle sichtbar darstellen.

Aufbauende Themen

Bei komplexeren Sachverhalten, die wir nicht auf einen Blick sondern in Häppchen servieren wollen, haben wir die einzelnen Komponenten auf der Seite zur Verfügung und integrieren sie im Lernfluss der Teilnehmenden ins Gesamtbild. Hier als Beispiel die Kanban Akrobatik, in der die gängigen Kanban Elemente auf einem Kanban Board schrittweise eingeführt werden.

Kanban Aktrobatik

Da das Miro-Board auch als Fotoprotokoll fürs Training verwendet wird, haben wir den Inhalt der Kanban Akrobatik ausformuliert zum Nachlesen ebenfalls auf das Miro-Board integriert (Pfeil nach oben).

Zu guter letzt

Checkout und Feedback einholen – online und vorort ein wichtiges Element unserer Trainings. Warum nicht mit Bildern arbeiten? Und online ist das sehr gut möglich ;-).

Unser Fazit mit dieser Art von online Trainings:

  • Die Aufbereitung in Miro ist sehr zeitintensiv. Die Erstellung dieses zwei-tages-Trainings dauerte ca. 5 Arbeitstage. (rein die Repräsentation in Miro und die interativen Elemente)
  • Wir bekommen von den Teilnehmenden sehr gutes Feedback, sie sind integriert ins Training und durch die vielen Interaktionen ist das Training sehr abwechslungsreich.
  • In Miro lassen sich aus den Boards Templates erstellen. Einmal erstellt – mehrmals verwenden.

Falls du Interesse hast, auch ein solches Training aufzubauen oder eines unserer Trainings zu besuchen, hier findest du unsere Academy: https://www.organic-change.ch/academy/

Retrospektive meets Teamdynamik

Die Retrospektive ist heute in vielen Firmen etabliert und installiert. Sie ist integraler Bestandteil aller agilen Arbeitsmethoden und steht im Zentrum des Lernprozesses in den Teams und Organisationen. Lernen findet ja in der Lern- und nicht in der Komfortzone statt. Wie stelle ich jetzt fest, in welcher Zone sich mein Team aktuell befindet?

Eine Symptom zur Ortung der Lernzone in einem Team ist für mich, wenn die Emotionen der Teammitgliedern in der Retrospektive (und auch ausserhalb) durchschimmern. Ich schliesse daraus, dass sie sich nicht „nur“ auf der Sachebene austauschen sondern auch Themen auf der teamdynamischen Ebene besprechen. Sie sprechen darüber, was zwischen ihnen als Menschen los ist. Was sie aneinander schätzen, wo sie sich aneinander reiben oder worin sie sich als Team im zwischenmenschlichen verändern wollen.

Eisbergmodell

Ein reifes Team hat gelernt, diese Themen anzusprechen und auch Experimente und Veränderung auf der teamdynamischen Ebene zu bewirken.

Die psychodynamische Ebene (zuunterst im Eisberg) schwingt immer mit, soll aber in der Retrospektive nicht explizit adressiert werden. Selbstverständlich darf jede Person auch persönliche Informationen dazu mit dem Team teilen, es wird aber nicht eingefordert.

Warum ist es es wertvoll, wenn ein Team sich auch auf der teamdynamischen Ebene austauschen kann?

Die Teamdynamik ist immer da. Alles was wir tun, hat auch Auswirkungen auf dieser Ebene. Mein Professor im CAS Teamdynamik sagt: „Teamdynamik ist wie das Wetter, es findet immer statt.“ Wir sind immer in Beziehung miteinandner, auch keine Beziehung in einem Team ist eine Aussage zum Beziehungssystatus.

Zum Beispiel die Erwartungen, die wir aneinander in einem Team haben. Können wir darüber sprechen? Sind wir fähig, einander echtes Feedback zu geben? Können wir als Team darüber sprechen, welches unsere Werte und Normen sind? Können wir auch ansprechen, wenn ein Teammitglied diese Werte und Normen nicht einhält? Fühlen wir uns genügend sicher, uns auch im Team mal ausserhalb dieser Werte und Normen zu bewegen? Die Werte und Normen regelmässig zu hinterfragen?

Ich sehe Teams, die durchaus fähig sind, im informellen Bereich (beim 1:1 Gespräch draussen auf dem Gang) all diese Themen offen anzusprechen. Aber findet der Austausch auch in der Gruppe/im Team statt, wenn wir alle zusammen sind? Erst wenn diese Dinge im Team besprochen werden können, kann sich dadurch die Arbeitsfähigkeit des Teams erhöhen, weil eine Auseinandersetzung auf der teamdynamischen Ebene stattfindet.

Es gibt in einer Gruppe / in einem Team den teamdynamischen Raum. Der besteht aus drei Kräften:

  1. Zugehörigkeit
    1. Bin ich in der Gruppe oder draussen? Bin ich voll integriert oder randständig?
    2. Wer gehört wodurch und weshalb zur Gruppe?
    3. Wie ist meine Identität in der Gruppe?
  2. Macht und Wirkung
    1. Wer ist in der Hierarchie der Gruppe oben, wer unten?
    2. Wieviel Wirkung habe ich in der Gruppe?
    3. Wer hat wann welche Macht und welchen Einfluss in der Gruppe?
  3. Nähe und Distanz
    1. Betrifft Liebe und Beziehung
    2. Wieviel Nähe ist zwischen Mitgliedern notwendig und passen?

Spannend ist, dass es in der Teamdynamik in der Essenz immer genau um diese drei Kräfte geht. Schau mal auf dein Team, was siehst du dort?

Wichtig ist für mich auch, dass ich selber weiss, welcher der drei Kräfte mir den besonders wichtig ist. Ist mir die Zugehörigkeit in einem Team wichtig, oder will ich Wirkung im Team entfalten? Wie nehme ich mich wahr in einem Team? Und hier habe ich wieder von meinem Professor gelernt: Wahrnehmen und annehmen. Nicht bewerten ;-).

So, der Blog-Beitrag heisst ja „Retrospektive meets Teamdynamik“ und wie bitte kann ich jetzt teamdynamische Themen in der Retrospektive forcieren?

Hier meine Tricks:

Emotionale Trendlinie
  • Auf den Einstieg in die Retrospektive acht geben. Bereits hier die Emotionen der Teilnehmenden abholen, zum Beispiel mit der emotionalen Trendlinie. Und zwingend alle in den Einstieg miteinbeziehen.

  • Moderation überwischt oftmals die Teamdynamik. Mutig ansprechen was wir fühlen und vom Team wahrnehmen und nicht stur der geplanten Moderation folgen. Oder auch einfach mal gar nix sagen. Zählt innerlich auf 100 und wartet mal ab.
  • Sich vom Gedanken verabschieden, dass wir als Facilitator immer lieb zum Team sein müssen. Lernen bedeutet fordern, und dies nicht nur in der Sache sondern auch auf teamdynamischer Ebene.
  • Ich hatte sehr lange Angst vor Emotionen in meinen Workshops. Ich hatte Angst, dass ich überfordert bin damit. Seit meiner Ausbildung im Bereich Teamdynamik konnte ich diese Angst einwenig ablegen. Vor allem darf ich auch mal überfordert sein, das ist total in Ordnung.
  • Mehr mit Bildern arbeiten. Bilder kommunizieren ganzheitlicher und wir können viel mehr ausdrücken. Auch Emotionen…
  • Mit dem Team über die gemeinsamen Werte & Normen sprechen. Ich verwende da gerne den Betriff Mottos. Welche Mottos gelten bei uns? Welche wollen wir forcieren? Welche wollen wir ablegen?
  • Stärken stärken. Feedback-Karten erstellen lassen und diese einander schenken. „Ich habe hier die Karte „Kümmert sich immer um das Team“ gezogen. Diese Karte möchte ich gerne dir schenken. Du fühlst dich für uns verantwortlich und kümmerst dich sehr gut um uns….“. Und dies nicht im stillen Kämmerlein, weil wir ja wissen, nur was wir im Team kommunizieren können, hat auch Wirkung dort.

Fazit: mit der Brille der Teamdynamik erhält die Retrospektive mehr Tiefgang. Sie wirkt bei den Teams nachhaltiger und die Lernkurve wird steiler. Viel Spass beim Ausprobieren und Reflektieren!

Neu bieten wir Trainings zu diesem Thema an!

Wie scharf ist dein Blick auf dein Team?

Als Agile Coach betrachte ich die Welt seit gut einem Monat mit einer neuen Brille. Sie hat zwei Brillengläser, mit einem sehe ich das Arbeits-System, mit dem anderen das Soziale-System:

Unseren Blick auf Teams und Organisationen – die Change Brille

Als Arbeitstitel nenne ich meine neue Brille die Change-Brille.

Wie bei der Brille, die mir die Sehschärfe koorigiert, arbeiten beide Augen unabhängig voneinander, mein Gehirn macht aber ein Gesamtbild daraus. Indem ich ein Auge zukneife, erkenne ich erst die Leistung und die Schwachstellen des anderen Auges bewusst an.

Die Change-Brille unterstützt mich dabei, bewusst das Arbeits- und / oder Soziale-System von Teams und Organisationen zu betrachten.

Und was sehe ich damit in meinem Coaching Alltag? Hier ein paar Eindrücke:

  1. Alltagssituation Daily Scrum:
    Als Agile Coach darf ich ein Team begleiten und sie beim Daily Scrum beobachten. Jeder Teammember rapportiert ausführlich seine Arbeiten, teilweise driften sie in technische Diskussionen ab. Das Team hat Mühe, das Daily Scrum in den geforderten 15 Minuten durchzuführen.

    Durch das Glas des Arbeits-Systems sehe ich:

Als Massnahme definieren sie einen Teammember, der das Timeboxing übernimmt. Die Timebox im Daily wird ab dann besser eingehalten. Hier hat das Team selbständig reflektiert und Lösungsansätze experimentiert und das Problem gelöst.

Durch das Glas des Sozialen-Systems nehme ich wahr:

Während dem Daily hat keine Person um Hilfe gebeten und es wurde nie erwähnt „das hat mich gestört“ oder „das hat mich gefreut“. Alle haben brav ihre Arbeit rapportiert. Fehlt da nicht was? Wo ist die Emotionalität? Wo sind die kritischen Voten oder auch die helfende Hand? Hat dieses Team genug Vertrauen zueinander, um auch im sozialen System sich gemeinsam weiterzuentwickeln? Wie sieht es mit der psychologischen Sicherheit der Teammember aus?

All diese Fragen kann ich im Nachgang des Dailes mit dem Scrum Master und / oder mit dem Team besprechen.

2. Alltagssitation „Mein Team hat keine Lust auf Retrospektive“:

Ein Scrum Master schildert mir folgende Situation: „Mein Team hat das Gefühl, wir brauchen so gut wie keine Retrospektive mehr. Wird sind so gut in unserer Zusammenarbeit, das Scrum Framework läuft wie am Schnürchen – wir sind die perfekte Produktentwicklungs-Maschine.“

Durch das Glas des Arbeits-Systems stelle ich dem Scrum Master diese Fragen:

Wie werden die Scrum Zeremonien gelebt? Liefert das Team, wie es dem Produkt Owner verspricht? Haben sie eine gute Velocity? In welcher Produkt-Qualität liefert das Team? Wie wird Qualität sichergestellt? Wie sind die Skills im Team verteilt? Hat das Team sich über die Zeit gemeinsam weiterentwickelt?

Durch das Glas des Sozialen-Systems stelle ich dem Scrum Master diese Fragen:

Wie geht das Team mit Konflikten um? Wie reflektieren sie gemeinsam? Werden gute und unangenehme Erlebnisse im Team angesprochen? Hilft das Team einander und kennen sie die Stärken und Schwächen der einzelnen Teammember? Wer organisisert das gemeinsame Lernen und Weiterentwicklen? Ist dafür der Scrum Master verantwortlich oder übernimmt jedes Teammember hier Verantwortung? Gibt es ein WIR im Team oder sind sie eine Gruppe von Einzelgänger?

Aus beiden System ergeben sich ganz viele Fragen, die mit dem Team und / oder dem Scrum Master besprochen werden. Ganz oft bei Teams, die diese Retrospektive-Sättigung zeigen, fehlt die Perspektive. Ihnen fehlt das Weitwinkel-Objektiv und die Sehschärfe, welche ihnen ihr unglaubliches Potential aufzeigt. Wie ein Mensch, der nur 40% seiner Augenleistung zur Verfügung hat. Ohne Sehhilfe kann ich nicht erfahren, wie die Welt mit 100% Augenleistung aussieht.

3. Alltagssituation „Muss ich jetzt als Scrum Master mit meinem Team diese Diskussion führen?“:

Das Scrum Master, mit dem ich die Alltagssituation Nr. 2 erlebt habe, fragt mich dann „muss ich jetzt mit meinem Team diese herausfordernden Diskussion führen? Bin ich dafür verantwortlich?“.

Sehr spannende Frage, die man auch wieder mit den zwei Brillengläsern der Change-Brille betrachten kann:

Ich bin als Scrum Master für die Scrum Zeremonien verantwortlich. Ich leite die Scrum Zeremonien und unterstütze das Team beim Lösen von Impediments. Zum Beispiel bei Abklärungen mit anderen Teams in Sachen Schnittstellen. Wenn wir Retrospektiven durchführen, dann mache ich die meist immer gleich. Mir und meinem Team ist es so am liebsten.

Hab ich in diesem Sozialen-System als Scrum Master auch Verantwortung? Muss ich das machen, oder haben wir nicht dafür die Linien-Vorgesetzten? Ich habe keine Lust mich mit den einzelnen Teammembern auseinanderzusetzen. Mit Emotionen fühle ich mich teilweise überfordert, die will ich nicht forcieren. Und wenn ich mit meinem Team diese unangenehmen Fragestellen bespreche, dann sind sie vielleicht böse auf mich. Bin ich dafür verantwortlich, dass mein Team im Sozialen-System in die Lernzone kommt?

Meine Gedanken zu dieser Situation: In vielen Organisationen wurden diese Agilen Rollen wie Scrum Master eingeführt, ohne die Verantwortlichkeit der Rolle genügen scharf zu definieren und einzufordern. Und ja, der Scrum Master hat im Sozialen-System definitiv viel Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet, dass er als Mensch selbst einen gewissen Reifegrad im Sozialen-System vorzuweisen hat. Nur so ist er genügend intrisisch motiviert, diese Verantwortung in seinem Team zu übernehmen. Den dieser Job ist kein einfacher ;-). Wenn aber in der Organisation dieser Verantwortung bei den Scrum Mastern nicht eingefordert wird, kann unser Scrum Master aus diesem Alltagsbeispiel gut so weitermachen wie bis anhin. Mit der Folge, das sein Team nie über einen mittleren Reifegrad hinauskommt.

Warum ist die Reifung im Sozialen-System herausfordernder?

Als Coaches sehen wir aktuell viele Organisationen und Teams, die eine mittlere Reife im Arbeits-System erreicht haben. Der Reifegrad im Sozialen-System ist oftmals viel tiefer. Warum ist das so?

Die meisten Kompetenzen im sozialen System bedingen eine persönliche Reife jedes einzelnen Team Mitgliedes. Zum Beispiel ist Reflektieren im Team ist nur möglich, wenn jeder Einzelner für sich fähig und willig zur Reflexion ist. Erst dann (und wirklich erst dann) kann man im Team gemeinsam reflektieren. Zusätzlich haben wir im geschäftlichen Kontext, insbesondere in klassischen Grossfirmen, die Abspaltung des sozialen Systems bewusst forciert. Nicht das das soziale Systeme nicht mehr da wäre, wir tun einfach ganz oft so, wie wenn es nicht präsent wäre. Dabei beeinflusst es unsere Organisationen und auch unsere Wirtschaftlichkeit massiv.

Eine Entwicklung als Team im Arbeits-System ist nicht unmittelbar mit der persönlichen Reife der einzelnen Teammitglieder verknüpft. Somit ist hier eine Entwicklung auf Team- und Organisationaler Ebene viel einfacher umzusetzen. Ganz zu schweigen davon, dass für diese Entwicklungen in den Organisation viel Geld vorhanden ist.

Was genau ist den in den zwei Systemen enthalten?

Wenn du dich fragst, was diese zwei Systeme genau sind, lies den Blog-Post von Ruedi: https://agilereflection.org/agile-initiative-haben-wir-in-das-soziale-system-investiert/

Reifegrade im Arbeits- und Sozialen-System

Innerhalb der einzelnen Systeme gibt es unterschiedliche Reifegrade. Zusätzlich gibt es Abhängigkeiten zwischen den Reifegraden über die zwei Systeme hinweg. Einen hohen Reifegrad im Arbeitssystem bedingt einen mittleren Reifegrad im Sozialen- System. Dazu mehr im nächsten Blog-Post.

Falls du dich vertiefter mit dem Denkmodell auseinandersetzen willst, wir von Organic Change unterstützen dich dabei sehr gerne.